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Was hat fotografische Technik mit Bildwirkung zu tun?

Eine gute fotografische Technik ist nie falsch. Lichtstarke Objektive, messerscharfe Abbildungsqualität, ein stabiles Stativ oder ein gutes Rauschverhalten sind immer ­willkommene Begleiter. Aber genügt dies?

Ralf TurtschiEs kann einem leidtun oder man kann es begrüssen: Die digitale Bilderflut auf dem Internet hat die Kunst des Briefeschreibens ersetzt. Anstelle von zehn 36er-Filmen für die Camping­ferien auf Sardinien sind 300 Urlaubsbilder in einem Tag nichts Aussergewöhnliches. WhatsApp, Facebook, Instagram, Pinterest, 500px und andere sorgen dafür, dass der Welt nichts mehr verborgen bleibt. Die meisten Bilder finden ihr digitales Archiv im Internet, viele davon sind Selfies, die einem ichzentrierten Kommunikationsverständnis entspringen. Sieh mal, wo ich bin, sieh mal, was ich ess’, sieh mal, was ich kann, sieh mal, wie beliebt ich bin.

In der Bilderflut ist es schwierig, «gute» von «schlechten» Bildern zu unterscheiden. Es darf vermutet werden, dass die durchschnittliche Betrachtungszeit einem Fingerwisch gleichkommt. Was soll in diesem Umfeld der Disput um den fotografischen technologischen Fortschritt?

Gerade wegen der fortschreitenden Technologie werden Bilder immer besser, es liegt nicht am Gestaltungsdrang der Fotografierenden. Handys machen Panoramas, sie stellen die Studiofotografie nach, machen Slow-Motion-Filmchen und produzieren Freisteller. Ganz ohne Photoshop. Man darf es so benennen: Adobe liegt in einer Art Tiefschlaf, gesättigt durch Millionen Lizenzen und das faktische Marktmonopol. Weder von Photo­shop, von Lightroom, noch von InDesign – und von Illustrator schon gar nicht – kamen in den letzten fünf Jahren revolutionäre Neuerungen. Ein Tanker, der sich als ziemlich unbeweglich zeigt.

Die Neuerungen kommen von den Kleinen, meistens als Gratisapps mit In-App-Käufen. Sie zielen auf den Handy­markt. Adobe, so wird man den Eindruck nicht los, hängt noch immer am digitalen Publizieren, welches nach einem bestimmten Workflow zu geschehen hat. Und welches immer auch Expertenwissen voraussetzt. Das Bildverständnis im Handymarkt ist etwas ganz anderes. Da kann sich jeder nach Herzenslust austoben. Wer jemals Handybilder freigestellt hat, weiss, wovon ich rede. Weshalb ist es im Handymarkt möglich, im Bezahlmarkt nicht?

So genial die heutigen Handys auch sind, es darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass Handys eben auch ihre Limiten haben. Und die sind, das muss man als Fotograf laut und deutlich sagen, hoch.

Handyfotografie

Die Verbreitung der Handykameras ist einem Vorteil zu verdanken: Man hat das Handy ohnehin immer dabei, also warum nicht auch damit fotografieren oder filmen? Wer schleppt schon immer extra eine Kamera mit? Es ist also nur selten ein Antrieb da, gute leidenschaftliche Fotos zu machen. Die Kamera wird als integrierter Bestandteil eines Multifunktionsgadgets gesehen.

Auch wenn die Kamerafunktion im Handy heute in der Werbung die erste Geige spielt: Es sind immer noch Kleinstlinsen mit einem winzigen Sensor eingebaut. Mit einer Metapher ausgedrückt: ein kleiner Fiat Punto, mit dem man viel Spass haben kann. Mit dem man aber besser nicht zu fünft in die Ferien vereist, bei Ikea einen Schrank abholt, eine Wüstensafari plant oder 240 km/h schnell sein will.

Handys machen gute Freizeitbilder, wenn die Szene frontal und ausreichend ausgeleuchtet ist. Gegenlicht führt in der Regel zu keinen guten Bildern. Bei Stimmungslicht in einem Restaurant führt Bildrauschen zu inakzeptablen Ergebnissen. Astrofotografie habe ich vom Handy noch nie gesehen. Tierfotos mit grosser Brennweite? Fehlanzeige. Sportfotos des Fussballspiels? Geht nicht. Studiofotos mit Models? Eher nicht. Auch wenn viele Apps versuchen, Handybilder etwas aufzupeppen, es ist nicht wegzuleugnen: Brauche dein Handy da, wo du damit keinen Schaden verursachst, im privaten Bereich oder wenn du ausschliesslich Kanäle im Internet bedienst. Oder jung bist und gaaanz cooool aussiehst.

Bildrauschen

Diese unerwünschte «Griessigkeit» eines Fotos entsteht mit hohem ISO-Wert, der heute die Helligkeitsempfindlichkeit regelt. Bei Handys wird der ISO-Wert automatisch eingestellt, bei Digitalkameras kann er manuell gewählt werden. Meist ist 100 ISO der kleinste Wert, die modernsten Geräte lassen bis über 50 000 ISO zu. Die Schwelle, ab wann Bildrauschen störend sichtbar ist, hängt von der Verwendung des Bildes ab. Bildrauschen ist erst in der Vergrösserung sichtbar.

Auf einem Handybildschirm ist Bildrauschen kein Thema. Im Printbereich wird das Bildrauschen durch die Rasterpunkte weginterpoliert, zudem werden die meisten Bilder heute nicht in ihrer vollen Auflösung und Grösse gezeigt. Eine 24-Megapixel-Kamera erzeugt ein Bild in 300 ppi von 50×30 cm. In der Zeitung oder in Magazinen ist eine Bildbreite von 25 cm schon sehr gross. Das heisst, dass auch das allfällige Bildrauschen dort um mindestens die Hälfte skaliert wird, es wird durch den Verkleinerungsfaktor verringert. Bildrauschen kommt eigentlich nur störend zum Tragen bei Vergrösserungen via Fine Art Printing oder im Fotolabor. Wenn wir ehrlich sind, in ganz seltenen Fällen.

Trotzdem stellen viele Fotografinnen und Fotografen aus Prinzip den ISO-Wert 100 ein, einfach um das Bestmögliche zu erhalten. Gute Kameras leisten jedoch auch bei 640 oder 1000 ISO eine rauschlose Qualität. 640 bedeutet gegenüber 100 acht Blenden- oder Verschlusszeitstufen, anstelle von f 4 kann mit f 10 fotografiert werden, was viel mehr Schärfe bedeutet. Oder bei gleicher Blende fotografiert man statt mit 1/80 Sek. mit 1/500 Sek., um Bewegungsunschärfe zu eliminieren. Der flexible Umgang mit der ISO-Zahl erhöht auf matchentscheidende Art die Bildqualität. Es geht dabei um Bildschärfe generell, Bewegungsunschärfe oder Schärfentiefe, aber auch um die Eliminierung der Verwackelungsgefahr.

Ich habe mich längst von 100 ISO verabschiedet, die ich erst dann bevorzuge, wenn Blende und Verschlusszeit das gewünschte Ergebnis bringen. Lieber erhöhe ich die ISO-Zahl auf 640 und leiste mir eine kürzere Verschlusszeit oder eine engere Blende.

Meine Erfahrungen mit einer Fuji­film GFX 50S (51 Megapixel, max. 12 800 ISO) in einer Konzertatmosphäre sind ermutigend, auch mit höheren ISO-Werten bis 12 800 gute Resultate zu erzielen, von Hand, ohne Stativ. Die Frage, die sich Fotografen stellen müssen: Was verliere ich mit hohen ISO-Werten und was gewinne ich? Die Antwort ist eindeutig: Flexibilität bei Blende und Belichtungszeit bedeutet einen Qualitätsgewinn.

Bildwirkung

Bei aller Technik darf nie vergessen werden, dass der fotografische Spass bei der Bildgestaltung beginnt. Die Technik (Kameraeinstellungen und Lichtsetzung) perfektioniert eine Komposition oder hilft, sie erst zu inszenieren. Fotografieren mit RAW katapultiert die Bilder in eine andere Liga. Man soll das eine tun und das andere nicht lassen. Das eigentliche Motiv, die Position, die Perspektive und die Lichtführung machen letztlich ein gutes Bild aus. Eine teure Ausrüstung mit allen Extras ist kein Garant für gute Bilder. Wer die fotografischen Möglichkeiten nicht erkennt, wird auch mit einer guten Ausrüstung nicht mehr herausholen. Ich bin sogar der Auffassung, das persönliches Weiterkommen eher auf einer Weiterbildung fusst, statt auf bombastischem Equipment.

Das Angebot an Fotoreisen, Workshops oder Lehrgängen und Büchern ist gross. Mitmachen in einem Fotoclub ist weiterführend, da man sich dort austauschen und vielfach messen kann. Von den Erfahrungen und dem Können anderer zu lernen, ist für die meisten Fotografinnen und Fotografen der ­Königsweg zu guten Bildern.­­ ↑

Ralf Turtschi ist Inhaber der R. Turtschi AG, ­visuelle Kommunikation, 8800 Thalwil. Der ­­Autor ist als Fotoreporter für die Gewerbezeitung, unteres linkes Zürichseeufer und Sihltal, unterwegs. Er ist als Dozent beim zB. Zentrum Bildung, Baden, tätig, wo er beim Diplomlehrgang Fotografie Fotobuchgestaltung lehrt und an der Höheren Fachschule für Fotografie das ­Studienfach Design unterrichtet. ­

Kontakt: agenturtschi.ch ­

turtschi@agenturtschi.ch

Telefon +41 43 388 50 00